Das Histogramm, jeder kennt es, ob in der Kamera, in Photoshop oder Lightroom, jeder schaut darauf. Wir haben gelernt dass das Histogramm wichtig ist, dass es über Gut oder Schlecht eines Fotos entscheidet, dass ein Histogramm das links oder rechts ausschlägt schlecht ist, dass ein ideales Foto ein sauberes, mittig platziertes Histogramm, das weder links noch rechts anstößt, aufzuweisen hat.
In diesem Artikel:
Die Aussagekraft des Histogramm
Schon häufiger wurde ich in Foren und Co. darauf hingewiesen, dass meine Fotos ja gut aussähen, dass aber die Belichtung noch korrigiert werden müsse, weil das Histogramm noch nicht den Idealverlauf hat. Diese Schreiber bemerkten, dass die Kurve Ausschläge fast ausschließlich in den Tiefen aufweist. Und das sei doch zumindest sub-optimal, wenn nicht gar völlig falsch. Zur Info: Es ging dabei um dieses LowKey Foto:
Mein Argument, die Aufnahme anhand des Fotos zu beurteilen und nicht aufgrund des Histogramms, verpuffte ins Leere: Nein, das Histogramm zeige ganz klar, dass die Aufnahme unterbelichtet und damit falsch sei, so die Schreiberlinge. Aber sie irrten sich. Alles wurde vollkommen richtig gemacht, denn fotografiert wurde ein blondes Model vor einem schwarzen Hintergrund mit dem Ziel nur die Konturen zu zeigen, ohne dass das Gesicht zu erkennen ist. Da muss das Histogramm die beschriebene Form aufweisen. Eine Korrektur hingegen hätte dazu geführt, dass die Vorderseite Models zwar nicht völlig Schwarz wäre, mehr Zeichnung hätte, aber das war gar nicht unser Ziel. Und das wäre somit falsch gewesen.
Nicht wenige Fotografen lassen sich unmittelbar nach der Aufnahme anstelle des gemachten Bildes lieber das Histogramm zur Kontrolle anzeigen. Sie erhoffen anhand des Histogramms etwaige Fehler bei der Belichtung des Fotos entdecken zu können. Für mich hat das Histogramm keinerlei Aussagekraft. Ich kann mit seiner Hilfe nichts erkennen, was ich nicht anhand des gemachten Fotos auch erkennen würde.
Nicht alles was technisch machbar ist, ist auch sinnvoll
Kein engagierter Fotograf lässt sich dabei erwischen, wie er mit einem der Motiv-Programme (zum Beispiel „Porträt“ oder „Landschaft“ oder „Sport“) fotografiert – warum also das Festklammern am Histogramm als Quell angeblich gültiger Wahrheit? Das Histogramm zeigt lediglich die Verteilung der verschiedenen Helligkeitsanteile sowie den Anteil der Bildpunkte unterschiedlicher Helligkeit/Farbe im Bild.
Das Histogramm ist ein Balkendiagramm, denn es zeigt sehr viele unterschiedliche Helligkeitswerte, vom tiefsten Schwarz bis zum hellsten Weiß. Da in einem Foto normalerweise keine rein gleichmäßigen Farbverläufe vorhanden sind, sondern unterschiedlich helle und dunkle Bereiche mit Schatten und Spitzlichtern, zeigt das Histogramm zackige Kurven. Diese Zacken bilden die Häufigkeitsverteilung eines bestimmten Helligkeitswertes ab. Nicht selten führt das durchwegs zackige Histogramm zu Fehlinterpretationen bei unerfahrenen Anwendern. Als Beispiel möchte ich hier Motive mit großen Kontrasten, bei ungewöhnlicher Farbverteilung (wie sie bei monochromen Motiven zu finden sind) und bei High-key- und Low-key-Motiven.
Wir haben gelernt das ein optimales Histogramm weder links noch rechts anschlägt, also keine in Schwarz abgesoffene Bereiche enthält, ebenso wenig wie überbelichtete Bereiche in Weiß. Unser Streben liegt darin die Kamera möglichst so einzustellen das wir einen sauberen Bogen von dunkel bis hell bekommen. Nicht wenige Fotografen sind erst dann zufrieden, wenn sie ein Foto gemacht haben, das – bezogen auf die Häufigkeitsverteilung der Helligkeitswerte – dem gezeigten Beispiel entspricht. Hat das Histogramm die hier gezeigte Form, dann wird auch von der „Normalverteilung“ des Histogramms gesprochen.
Bei anderer Kurvenform wird dann belichtungstechnisch solange korrigiert, bis in etwa diese Form erreicht wird. Hintergrund ist das Bestreben, eine nahezu „mathematisch ausgerechnete“ (korrekte) Belichtung durchzuführen. Aber was hier fälschlicherweise als Optimum angestrebt wird, ist der falsch verstandene Glaube an die Unfehlbarkeit der Mathematik.
Das ist falsch!
Fotos lassen sich nicht berechnen. Das Einhalten zum Beispiel eines bestimmten Kurvenverlaufs des Histogramms sagt gar nichts über die Qualität des Fotos aus. Im Gegenteil! Oftmals sind es die ungewöhnlichen Fotos, die begeistern, auch in belichtungstechnischer Hinsicht. Highkey und Lowkey Fotos sind unter anderem deshalb bei den Fotografen so beliebt, weil sie eine Alternative darstellen zum (belichtungstechnischen) Einheitsbrei, zur Normalität, darf man hier doch endlich mal das was man sonst akribisch versucht zu vermeiden: Das Histogramm völlig durchnudeln. Und es macht sogar Spaß!
Doch schauen wir uns mal die Histogramme von einem Highkey und von einem Lowkey-Foto an:
Beim linken Beispiel sind die Ausschläge in den dunklen Bereichen deutlich im Histogramm zu erkennen, während im rechten Beispiel die Ausschläge in den hellen Bereichen stattfinden. Würde man hier die Einstellungen der Kamera so lange verändern bis eine Normalverteilung erreicht ist, kann man getrost beide Fotos, Low- und Highkey, in die Tonne werfen.
Das Kopfproblem
Das Histogramm gaukelt dem Fotografen eine scheinbar wissenschaftlich fundierte Entscheidungshilfe vor, ob das aufgenommene Foto korrekt belichtet wurde, oder eben nicht. Wer das Histogramm so interpretiert, wird immer wieder von seinen Ergebnissen enttäuscht werden. Besser ist es, das Foto in seiner Gesamtheit zu beurteilen und dann zu entscheiden, ob die gewählte Belichtung zum Motiv passt – oder ob eine andere Belichtung, eine Über- oder Unterbelichtung beispielsweise, zu einem besseren Ergebnis führen würde. Denn eins ist klar:
Ein Foto lebt durch Schwarz und Weiß
Somit ist das Streben nach einem perfekten Histogramm, die Jagd nach einem wunderschönen Bogen von links nach rechts, völlig sinnlos. Oftmals wird dabei sogar das Motiv zur Nebensache, ich hab es selbst erlebt, dabei ist das Motiv doch die Hauptsache. Welchen Grund hätten wir sonst es zu fotografieren? Genau: Keinen!
Überbelichtungswarnung = Verbot?
Super Sprung vom Histogramm zur Überbelichtungswarnung, oder? Aber das gehört nun mal zusammen. Sehr viele Fotografen haben diese Warnung an ihrer Kamera aktiviert. Sie zeigt uns ob und wo im gemachten Foto eine Überbelichtung stattgefunden hat indem sie den betroffenen Bereich Rot einfärbt und löst damit im Kopf eine Kettenreaktion aus. Diese Warnung wird dabei nicht als Warnung aufgenommen, sondern als Verbot. Das Histogramm wird zu Rate gezogen. Die Konsequenz daraus ist das wir die Einstellungen so lange ändern bis das Foto eben diese Warnung nicht mehr anzeigt, schließlich wollen wir das auch die Bereiche noch genügend Zeichnung haben. Und schon ist man in die Falle getappt.
Unter den korrigieren der Einstellungen, bis die Warnung weg ist, leidet auch unser Hauptmotiv. Durch das Abdunkeln des Bildes wird das Hauptmotiv logischerweise auch dunkler. Oft passiert es dabei das schwarze Bereiche dabei völlig an Substanz verlieren, aber das wird gerne ignoriert (klingt komisch, ist aber so). Dabei stimmt es NICHT das in den hellen Bereichen keinerlei Zeichnung mehr vorhanden ist, das der Bereich bei der kleinsten Warnung schon hoffnungslos verloren ist. Es ist eben nur eine Warnung. Ich halte das Wort Überbelichtungswarnung übrigens für übertrieben und plädiere dafür es Überbelichtungshinweis zu nennen.
Abschalten bitte!
Dieses „Feature“ ist in meinen Kameras längst deaktiviert und auch das Histogramm wird nur ganz selten zu Rate gezogen. Das Problem an diesen Anzeigen ist, dass sie ihre Werte aus den eingebetteten JPGs beziehen. Beim erstellen des JPGs folgt die Kamera stur zuvor festgelegten Algorithmen, völlig egal was ich da gerade vor der Linse habe. Die Kamera „sieht“ nicht ob ich eine Landschaft fotografiere, ein spiegelndes Gebäude, ein Portrait, ein High- oder Lowkey Foto mache. Alles wird gleich bewertet. Aber es geht noch weiter…
Das eingebettete JPG zeigt ein „könnte so aussehen“ Bild, also ein rein temporäres Bild. Jeder der sich seine RAWs später am PC ansieht weiß was ich meine: Sie sehen völlig anders aus als auf dem Display der Kamera und sind meilenweit von dem eingebettetem JPG entfernt. In der Bildbearbeitung ändert sich nicht nur der Look im Vergleich zu dem integrierten JPG, auch die zuvor als Über- oder Unterbelichtet angezeigten Bereiche lassen sich fast immer retten, außer man hat wirklich gravierende Fehler bei der Aufnahme gemacht.
Fazit
Beides, die Überbelichtungswarnung und das Histogramm haben natürlich ihre Daseinsberechtigung. Man sollte es aber tunlichst vermeiden sie als „Heiliger Gral“ zu behandeln und den vielerorts, ob in Foren oder Bücher, gepriesenen Weisheiten zu erliegen. Sie sind schlichtweg falsch, falsch und falsch! Googelt einfach mal danach und macht euch euer eigenes Bild, ihr werdet wohl zu dem gleichen Schluss kommen. Wenn ein Foto so aussieht wie man es sich vorgestellt hat, wen interessiert dann noch das Histogramm.
Lesetipp
Auf Krolop & Gerst gibt es einen schönen Artikel von Martin zum Thema Überbelichtungswarnung den ich euch ans Herz legen möchte:
ÜBERBELICHTUNGS-WARNUNG! DER BREMSKLOTZ AM SIEGESZUG DER FOTOGRAFIE!
In diesem Sinne, weiterhin viel Spaß beim fotografieren 🙂
Update: Interessantes Video von Krolop & Gerst
Gerade wurde auf YT ein weiteres interessantes Video zum Thema Histogramm, und ansatzweise auch zur Überbelichtungswarnung, veröffentlicht:
Diese ausführliche Video dreht sich ausschließlich um das Histogramm. Was genau ist das Histogramm und wie kann man es einsetzen? Was steckt dahinter und warum ist das Histogramm so wichtig in der Fotografie? Objektivität mischt sich mit subjektiven Meinungen von Martin. Ein hoffentlich gelungener Mix aus Theorie und Anwendungspraxis!